Schreckgespenst im Anmarsch — So können Anleger einer Stagflation begegnen.

wevest
3 min readJun 8, 2022

In den 70er- und frühen 80er Jahren sorgte eine hohe Inflationsrate bei gleichzeitig schrumpfender Wirtschaft für einen volkswirtschaftlichen Super-GAU: Steigende Arbeitslosigkeit, rückläufige Unternehmensgewinne und sinkende Kaufkraft setzte damals der Bevölkerung zu. Lesen Sie im Folgenden, wie Investoren einem solchen Umfeld bestmöglich begegnen können.

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Laut dem Präsidenten des ifo-Instituts Dr. Fuest befindet sich Europa bereits mitten in der Stagflation. Dieses Kunstwort, welches sich aus „Inflation“ und „Stagnation“ zusammensetzt, bezeichnet eine stockende Wirtschaftsleistung bei gleichzeitig hohem Preisanstieg.

Bekannteste Beispiele für ein solch sehr selten vorkommendes Phänomen waren die Ölkrisen in den 1970er und frühen 1980er Jahren. Auslöser für das steigende Preisniveau waren zunächst stark gestiegene Rohstoffpreise. Um die Kosten für die Bevölkerung auszugleichen, stiegen die Löhne und Gehälter, was die Produktionskosten verteuerte und zu weiteren Preisanstiegen führte. Um die Gelwertstabilität zu gewährleisten, setzten die Notenbanken auf eine restriktive Geldpolitik mit steigenden Zinsen, was wiederum das Wirtschaftswachstum erschwerte. Die Inflationsraten in Deutschland stiegen in diesem Zeitraum acht Mal über fünf Prozent. Parallel dazu verzeichnete man in 4 Kalenderjahren kein oder negatives Wirtschaftswachstum.

Der perfekte Sturm zieht auf

Bis vor Kurzem schien ein solches Szenario unwahrscheinlich, hielt sich doch die Inflation über Jahrzehnte hartnäckig auf tiefem Niveau. Doch durch eine Kombination aus ultralockerer Zentralbankpolitik, pandemiebedingten Lieferengpässen und dem Ukraine-Krieg führten zu einer Eskalation der Lage. Die Produzentenpreise stiegen auf ein Niveau, welches zuletzt in den 1960er Jahren beobachtet werden konnte. Dem verringerten Angebot steht eine aufgeblähte Geldmenge gegenüber. Sollte dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Werthaltigkeit des Geldes nachlassen, kann man sich auf einen weiteren Inflationsschub gefasst machen.

Um die Stabilität des Euro zu gewährleisten, müsste die EZB die Zinsen erhöhen. Doch der Weg von einer ultralaxen Politik hin zu einer Normalisierung ist mit hohen Risiken verbunden. Nicht nur, dass heftige Zinsanhebungen die schwache Konjunktur in Europa abwürgen würden. Auch die Stabilität einiger Staatsfinanzen und damit verbunden die Finanzmarktstabilität wären gefährdet. Erinnerungen an die Griechenland- und Euro-Krise vor 12 Jahren werden wach. Sehr wahrscheinlich ist daher, dass die EZB weiterhin so wenig wie möglich an der Zinsschraube dreht. Für Tagesgeld- und Sparkonten bedeutet das ein negativen Realzins, bei dem die Geldvermögen Stück für Stück entwertet werden.

Wo gibt es noch einen sicheren Hafen?

Investoren haben dagegen zumindest die Chance auf einen realen Werterhalt, auch wenn für sie das Umfeld ebenfalls nicht leicht ist: Steigende Zinsen führen bei festverzinslichen Anleihen zu Kursverlusten, da deren (niedriger) Kupon im Vergleich zu aktuellen Zinsen unattraktiv wird, was zu einer geringeren Nachfrage und zu Kursrückgängen führt. Rohstoffanlagen profitieren vor allem zu Beginn einer Inflationsperiode, sind allerdings mit den enormen Kursaufschlägen auch anfällig für Rückschläge. Bei Gold wirken zwei entgegengerichtete Kräfte: Zum einen wird das Edelmetall im Vergleich zu den höheren Zinsen unattraktiver zu halten, da es selbst keine Erträge erwirtschaften kann. Eine zunehmende Unsicherheit und schwindendes Vertrauen in die Stabilität des Geldes lässt Anleger allerdings zunehmend in die „Schutzwährung“ fliehen, um reale Vermögensverluste zu vermeiden.

Defensive Aktien als Gewinner.

Auch Aktien befinden sich derzeit in einem perfekten Sturm. Normalerweise leiden Unternehmen durch die steigenden Kosten und sinkende Umsätze gleich doppelt. Abzulesen ist das an der schwachen Kursentwicklung der Aktienindices seit Jahresbeginn, die sich in der Mehrzahl im zweistelligen Minus befinden. Trotzdem kommt man an den Dividendentiteln nicht vorbei. Besonders Unternehmen aus defensiven Branchen wie Versorger, Immobilien und Basiskonsumgüter sind stärker vor der Inflation abgeschirmt und zählen bei einer Stagflation zu den Gewinnern. Im Regelfall können sie Preissteigerungen besser weitergeben, um ihre Gewinnmargen stabil zu halten. Deswegen behaupten sich ihre Aktienkurse sich tendenziell, auch wenn sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt.

In der Vergangenheit war in einem Stagflationsumfeld eine stärkere Ausrichtung auf defensive Dividendentitel eine lohnende Strategie. Die langfristige Börsenentwicklung wurde durch die Stagflations-Folgen nicht beeinträchtigt. Kursverluste zu Krisenbeginn konnten in den Folgejahren stets aufgeholt werden.

Fazit.

Trotz der hohen Inflation und nachlassendem Wachstum bieten Kapitalmärkte eine der wenigen Möglichkeiten, den Wertverlust von Ersparnissen wettzumachen. Im Umfeld steigender Zinsen können sich allerdings insbesondere Anleihen mit mittel- oder langfristiger Laufzeit als Nachteil erweisen. Besseren Schutz haben in der Vergangenheit vor allem defensive Aktien versprochen.

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